Das erste Weihnachtsfest ohne Krieg auf einem kleinen Gutshof in Ostholstein
Aufgeschrieben von Heinecke Werner

Das erste Weihnachtsfest ohne Krieg war auch in Heuerstubben etwas Besonderes. Die vielen Frauen und Kinder begannen schon vier Wochen vorher mit den Vorbereitungen. Am Tag vor dem Heiligen Abend war der erste Schnee gefallen und hatte den Hof der Tiere in dünnes Weiß getaucht. Damals fiel sehr viel mehr Schnee als heute. Gegen sieben Uhr abends war das Fest der Geburt Christi in der Kirche zu Gnissau beendet. Wir fuhren in Decken verpackt mit der Kutsche zurück zum Hof, wo sich alle erwartungsvoll unter dem großen Weihnachtsbaum vor den beiden dorischen Säulen in der Halle versammelten. Vor der eigentlichen Bescherung galt es, zunächst den Tieren des Hofes fröhliche Weihnachten zu wünschen. Alle Kinder bekamen Kerzen und wanderten mit den Erwachsenen des Hauses zunächst in den Garten. Längst war es dunkel geworden. Die Kerzen wurden auf die kleine Tanne gesteckt, die gleich neben dem Gartenhäuschen stand, und alle stellten sich im Kreis drum herum und sangen „Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“.
Dies erste Lied galt den armen Tieren aus Feld und Wald, die trotz hartem Winter nicht in den Stall durften. Die Kerzen wurden wieder eingesammelt und es ging hinter der Zuckerscheune und am Gewächshaus vorbei zum Kuhstall. Fast alle Kühe lagen bräsig auf ihren Plätzen und käuten wieder. Eine große Ruhe ging von diesem Geschäft aus. Etwas kleiner als ein Tennisball kommt aus dem Netzmagen kommt ein kleiner Ballen gefressenen Heus oder Silage den Schlund hinauf gerutscht und wird gemächlich zwischen den breiten Backenzähnen noch einmal klein gekaut. Die Kühe produzieren dabei viel Speichel und mahlen ihre Kiefer seitwärts hin und her. Ihre Zungen haben nun ein zweites Mal das Vergnügen, den guten Geschmack des Futters zu genießen. Jürgen, mein Bruder, war ganz neidisch, dass Menschen dies Privileg, zwei Mal zu essen ohne doppelte Nahrung zu sich nehmen, nicht hatten. Den Kühen wurden alle drei Strophen „Es ist ein Ros´entsprungen“ vorgesungen.

Jetzt ging es weiter zum Schweinestall. Auch hier war bereits nächtliche Ruhe eingekehrt. Besonders die Mastschweine lagen schlafend auf der Seite. Schweine lassen sich eher stören und wollen von jedem Besucher wissen, wer er ist, was er eigentlich will. Nachdem das Licht angemacht wurde und die lange Reihe der Weihnachtsbesucher den Gang vor den Boxen leise betreten hatte, richteten sich einzelne Schweine in Hockstellung auf und guckten mit ihren kleinen Äugelein die Gäste ganz genau an. Einige von ihnen setzten sich dafür auf alle vier Pfoten oder standen dafür sogar auf und kamen interessiert grunzend nach vorn zum Gang. Den Schweinen wurde das Lied, „Ihr Kinderlein kommet, ach kommet doch all“ gesungen, aber nur zwei Strophen. Jetzt blieb noch der Pferdestall auf der anderen Seite des Hofes. Da roch es am schönsten. Pferde, so kam es meinem Bruder vor, schlafen kaum. Immer wenn er in den Stall kam, waren sie schon wach und schauten willkommen heißend zu ihm. Pferde sind aufmerksame Haustiere. Sie schauen Dich nicht nur an, sie lauschen Dir auch mit gespitzten Ohren entgegen. Eine so große Gruppe Besucher hatte jedoch keines der zwölf Pferde erwartet. Jedes bekam ein Stück Würfelzucker und es wurde „Macht hoch die Tür, das Tor macht weit“ mit großer Inbrunst in allen Strophen den Pferden vorgesungen. Die waren anfangs ein wenig überrascht, ja beunruhigt und konnten sich den weihnachtlichen Sinn dieser Aufführung nicht recht erklären. Der Besuch im Hühnerstall wurde in diesem Jahr wieder ausgelassen, weil man das Federvieh, welches nachts sehr schreckhaft ist, und gleich glaubt, um sein Leben fürchten zu müssen, zum Fest des Friedens nicht in Aufregung versetzen wollte. Auch der Gänsestall wurde nicht besucht. Bis auf die beiden alten Gänse, die im kommenden Frühjahr wieder ihre Gössel aufziehen sollten, war der Stall leer. Es war die Zeit nach Martini, eine Jahreszeit, die auch im protestantischen Norden jährlich viele Gänse das Leben kostet. So wurde auf dem Hof der Tiere das weihnachtliche Fest des Friedens zusammen mit den Tieren gefeiert, mit vielen Dank im Herzen und dem guten Gefühl, zu einer großen Familie zu gehören. So wurden wir schon in Kindertagen zu Verantwortung, Respekt und Dankbarkeit für unsere Haustiere erzogen. Einen der heutigen industriellen Schweine- oder Geflügelställe einfach so ohne Desinfektion und Schutzanzug zu betreten oder gar einfach mit einem Trupp von acht Kindern zum Weihnachtsliedersingen aufzutauchen, scheint undenkbar.
Gefunden im Heimatmuseum Ahrensbök
Erich Marowski